Augsburger und Erlanger Fragmente: Reste einer Lorscher Prachthandschrift

Zumindest in Fragmenten ist ein prachtvoll gestaltetes karolingisches Sakramentar aus Lorsch überliefert. Das Buch, das die vom Priester während des Gottesdienstes zu sprechenden Gebete enthält, wurde ca. im dritten Viertel des 9. Jh. in Lorsch hergestellt. Geschrieben wurde es von Schreibern, die sehr wahrscheinlich auch am „Lorscher Rotulus“ (Frankfurt/M., StUB, Ms. Barth. 179) beteiligt waren. Zu einem unbekannten Zeitpunkt wurde der Codex makuliert; die heute in den Universitätsbibliotheken in Augsburg (Cod. I.2.4° 1) und Erlangen (Ms. 2000) verwahrten Reste wurden als Einbandhüllen für andere Bücher verwendet.

     

Die Zerstörung der Handschrift erscheint aufgrund ihrer künstlerischen Ausschmückung besonders tragisch, gerade weil aus Lorsch kaum illuminierte Codices aus karolingischer Zeit bis heute überdauert haben. Umso erfreulicher ist die zumindest in Bruchstücken erfolgte Erhaltung dieses liturgischen Buches, das in Teilen seiner künstlerischen Gestaltung auf Vorlagen aus dem „Lorscher Evangeliar“ (Alba Iulia, Bibl. Batthyáneum, Ms R II 1 und Vatikan, BAV, Pal. lat. 50) zurückgeführt wird. Im Erlanger Fragment mit dem Hochgebet, dem Kernstück einer jeden Gottesdienstfeier, ist der Anfang des Messkanons (Te igitur clementissime pater) – wie auch in anderen Sakramentaren bis in die heutige Zeit – als sogenannte Te-Igitur-Seite ausgeschmückt. Der erste Buchstabe, das T, nimmt hier ca. zwei Drittel der Seite ein, es trägt unter anderem eine Darstellung Christi mit Segensgestus und Buch und wird selbst von einem Engel mit zum Gebet ausgestreckten Armen getragen. Das Augsburger Fragment enthält Messgebete für die Pfingstwoche. Es beginnt mit einer das Pfingstwunder illustrierenden farbigen Initialzierseite: Wohl aus einem verblassten Strahlenbündel im Mittelfeld des oberen Rahmens empfangen die in weiteren elf Rahmenfeldern mit ihren Köpfen dargestellten Apostel über versinnbildlichende Feuerzungen den Heiligen Geist. Dieser selbst ist (nochmals) abgebildet als Taube, die einen den Abkürzungsstrich für das Wort Deus ersetzenden Zweig im Schnabel hält. Das D (in unzialer Form) ist als Flechtbandinitiale, das S wie auch die folgenden Wörter des ersten Messgebets in einer insularen Ziermajuskelform ausgeführt. Auf den nächsten zwei Seiten folgen die restlichen Gebete für die Pfingstsonntagsmesse, in karolingischer Minuskel komplett in Gold geschrieben.

Der Messkanon der Gottesdienstfeier enthält verschiedene Abschnitte, in denen das Gedenken an besondere Lebende und Tote zelebriert wird. Das Erlanger Fragment bietet auf Blatt [1]v im „Communicantes“, dem Heiligengedächtnis, den Namen des Lorscher Klosterpatrons Nazarius, hervorgehoben in goldenen Majuskelbuchstaben. Auf derselben Seite sind in einem Nachtrag aus der ersten Hälfte des 10. Jh. auf den linken Rand die Namen von fünf Lorscher Äbten notiert und mit einem verzierten Goldrahmen umgeben: Hatto (901-913), Adalbero (895-897 und 900-901), Thiothroch (864/65-876), Eigilbert (856-864/65) und Babo (876-881). Diesen sollte – wie auch einem Theotolah, wohl Thiethlach (890/91-914 Bischof von Worms) und einem nicht näher zu identifizierenden Fridagar sowie zwei unterhalb des Goldrahmens verzeichneten Bischöfen aus dem 11. Jh. (Werinher von Merseburg und Burchard von Basel) – als besonders erinnerungswürdig angesehenen Wohltätern des Klosters im Einleitungsgebet des Messkanons oder im darauf folgenden „Memento“ gedacht werden.

Die Fragmente dieses aufgrund der Nameneinträge nicht nur für Liturgie und Buchkunst in Lorsch, sondern auch für die allgemeine Klostergeschichte wichtigen Zeugnisses wurden im Rahmen des Projektes „Bibliotheca Laureshamensis – digital“ virtuell wieder zusammengeführt. Damit steht dieses historische und zugleich künstlerische Dokument nicht nur der Forschung bequem zur Verfügung.

Ein Kommentar

  1. Manuela
    4.12.2013 geschrieben in 15:32 | Permalink | Antworten

    Es ist zu begrüßen, dass ein derart seltenes schriftliches Dokument nicht nur für einen erlesenen Insiderkreis zugänglich ist, sondern auch Interessierten im Rahmen des Projektes „Bibliotheca Laureshamensis – digital“ virtuell zur Verfügung steht. Nicht nur Forscher haben ein Interesse solche Werke zu untersuchen, auch kunstinteressierte Laien oder Studenten, die auf diesem Gebiet ihre Studien betreiben, kommen so in den Genuss seltene schriftliche und historische Kunstwerk unter die Lupe zu nehmen. Fünf von sechs Handschriften aus der Karolingerzeit, die jetzt zum Bestand der Bibliothèque nationale de France in Paris gehören, können neben anderen Werken ebenfalls in der Virtuellen Klosterbibliothek Lorsch eingesehen werden. Man darf getrost von einem Projekt sprechen, das nachahmenswert ist. Auf diese Weise könnte man eine breite Interessengruppe für ansonsten schwer zugängliche Kunst – auch auf anderen Gebieten – sensibilisieren.

Ein Trackback

  1. […] war von 901 bis zu seinem Tod 913 auch Abt des Klosters Lorsch. In einem Lorscher Sakramentarfragment ist bald nach seinem Tod Hattos Name neben dem eucharistischen Hochgebet notiert worden, um seiner […]

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